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Transgenerationale Wut: Wenn alte Wunden in der Elternzeit aufbrechen.

  • Autorenbild: Aline Calderón
    Aline Calderón
  • 6. Okt.
  • 4 Min. Lesezeit

Elternzeit – eigentlich eine Phase des Ankommens, des Zusammenwachsens, des gemeinsamen Startens in ein neues Leben. Doch für viele Frauen wird genau diese Phase zum inneren Kraftakt. Während das Außen oft von "Genieß die Zeit!" spricht, erleben viele Mütter etwas ganz anderes: Überforderung, Einsamkeit – und eine unterschwellige Wut, die sie selbst kaum einordnen können. Eine Wut, die tiefer sitzt. Eine, die generationenalt ist und eine, die schon ihre Mütter und Großmütter, gespeist aus jahrzehntelanger Selbstaufgabe, Einschränkung und struktureller Unsichtbarkeit mit sich herumgetragen haben, aber sie nicht fühlen durften.


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Die Falle der „Versorgerin“

Kaum ist das Kind geboren, rutschen viele Frauen – oft unbewusst – in eine Rolle, die gesellschaftlich über Jahrzehnte vorgezeichnet wurde: die der Hauptversorgerin. Sie stillen, begleiten Emotionen, organisieren, halten den Alltag zusammen. Die Beziehung zum Kind wird zur Hauptaufgabe, oft zur alleinigen Verantwortung.

Selbst in Partnerschaften, die sich vor dem Kind gleichberechtigt fühlten, setzt sich nach der Geburt oft das traditionelle Muster durch. Der Mann geht „bald wieder arbeiten“, die Frau bleibt zuhause und erlebt die sogenannte "Motherhood Penalty" – den Karriereknick, den viele Frauen nach der Geburt erleben. Während Männer beruflich weiter voranschreiten, werden Frauen als weniger flexibel, weniger belastbar und weniger leistungsfähig wahrgenommen. Was das später für Auswirkungen auf ihre Rente hat – darüber wird lieber nicht nachgedacht. Dieses strukturelle Ungleichgewicht verstärkt die emotionale Last, die sie ohnehin tragen. Ihre Themen stehen zurück. Nicht aus bösem Willen, sondern weil das System es immer noch so vorsieht – und weil die alten Muster stärker sind als viele denken.


Warum das wehtut – auf einer tiefen Ebene

Dieses „automatische Funktionieren“ als Versorgerin kann eine Wunde aufreißen, die viele Frauen nicht erwartet haben: die Wunde der eigenen Ahninnen.

Denn die Geschichte der Frauen vor uns ist eine Geschichte des Verzichts. Generationen von Müttern, die ihre eigenen Träume, Berufe, Sehnsüchte zurückstellten, um Kinder großzuziehen. Oft ohne Wahl. Ohne Anerkennung.

In der heutigen Elternzeit berühren wir plötzlich genau diesen Schmerz. Wir spüren, wie tief in uns das Wissen sitzt: „Deine Bedürfnisse zählen weniger.“ Die Wut, die viele Mütter in dieser Phase empfinden – auf sich selbst, auf den Partner, auf die Gesellschaft – ist deshalb nicht nur ihre eigene. Es ist die Wut derer, die vor ihnen kamen und die nie wütend sein durften.


Das Schweigen der Väter

Und wo stehen die Väter? Viele wollen heute präsenter sein, Verantwortung übernehmen, Zeit mit ihrer Familie verbringen. Und doch erleben viele eine innere Zerrissenheit: Sie spüren den Wunsch, sich einzubringen – aber gesellschaftliche Prägungen lassen diesen Wunsch „falsch“ erscheinen. Jahrzehntelang galt das Bild: Ein guter Vater sorgt finanziell, alles andere ist „Zusatz“. Dieses Bild wirkt nach. Viele Männer haben nicht gelernt, sich Raum für Familie überhaupt zu nehmen – und fühlen sich schuldig oder schwach, wenn sie es versuchen. Als müssten sie sich für den Wunsch, Elternzeit zu nehmen, rechtfertigen.

Hinzu kommt: Selbst wenn der Wunsch da ist, macht es das System schwer. Arbeitgeber fragen selten nach „Väter-Elternzeit“. Die Angst vor Karriereeinbußungen, Gehaltsverlust oder Unverständnis im Job ist real. Wer als Mann längere Auszeiten nimmt, gilt schnell als „wenig ambitioniert“. Nicht zuletzt sind auch Männer Kinder eines Systems, das ihnen vermittelt hat: „Deine Hauptaufgabe ist das Geldverdienen.“


Das Resultat?

Frauen fühlen sich im Stich gelassen – nicht, weil Väter nicht wollen, sondern weil sie nicht wissen, wie sie dürfen. Männer fühlen sich überfordert, zwischen Erwartung und Bedürfnis gefangen, oft als hätten sie gar keine echte Wahl. Und so scheitert Gleichberechtigung genau dort, wo sie am dringendsten gebraucht wird: beim gemeinsamen Start ins Elternsein.


Dabei zeigen wissenschaftliche Studien längst, dass eine faire Aufteilung von Elternzeit und Care-Arbeit nicht nur traditionelle Rollenmuster aufbrechen kann, sondern auch die nächste Generation davon profitiert. Wie wunderschön wäre es, wenn wir unseren Kindern vorleben würden, was es wirklich bedeutet in einer gleichberechtigten Elternschaft zu leben. Wenn die Väter genauso viel Zeit für das so wertvolle Bonding investieren und zeigen, dass es für beide Eltern gleichermaßen möglich ist. Was würde das mit der nächsten Generation machen? Zugleich kann Wissen über transgenerationale Traumata und emotionale Weitergaben helfen, eigene Familiengeschichten zu verstehen – und aktiv neu zu schreiben.


Transgenerationale Wut als Chance

Diese alte Wut, die sich heute in der Elternzeit zeigt, ist unangenehm. Sie kann Beziehungen belasten, sie kann Schuldgefühle wecken. Doch genau deshalb ist es so wichtig und wertvoll die schwierigen Gespräche als Paar zu führen. Es ist auch eine Chance.

Denn sie erzählt uns, dass wir an einem Punkt sind, an dem etwas anders werden muss. Dass wir nicht mehr bereit sind, die alten Muster einfach weiterzutragen. Dass wir spüren: Diese Aufteilung – sie passt nicht mehr. Du fragst dich jetzt vielleicht – was hat das alles mit dem weiblichen Zyklus zu tun? Diese tieferliegende Erschöpfung und Wut zeigt sich nicht nur in der Elternzeit – sie ist Ausdruck eines Systems, das zyklische Prozesse wie den weiblichen Zyklus ebenso ignoriert wie die emotionalen und körperlichen Rhythmen von Müttern. Wer anfängt zyklusorientiert zu Leben wird automatisch anfangen, veraltete Ansichten und Systeme zu hinterfragen.


Was es jetzt braucht

Wir brauchen Gespräche. In Paaren, in Familien, in der Politik. Wir brauchen Männer, die bereit sind, die „Versorger“-Rolle neu zu denken – und Frauen, die ihre Wut nicht nur als Belastung, sondern als Wegweiser verstehen: etwas stimmt hier nicht.

Vor allem brauchen wir Strukturen, die echte Elternzeit ermöglichen: für alle Geschlechter. Arbeitgeber, die Väter ermutigen, Elternzeit zu nehmen. Politische Rahmenbedingungen, die Care-Arbeit sichtbar machen und entsprechend vergüten. Gesellschaftliche Narrative, die Mütter nicht länger automatisch in die Rolle der Alleinversorgenden drängen.

Denn die alte Wut zeigt uns eines deutlich: Wir sind die Generation, die den Kreislauf durchbrechen kann.


Lasst uns die Wut nicht fürchten. Lasst sie uns nutzen. Als Impuls für Veränderung. Für uns – und für die Generationen, die nach uns kommen.



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